Samstag, 21. Januar 2012

Alter Insu: Teil 20 "Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Ratzeburg"

Auch der Nationalsozialismus ist und bleibt ein Thema der deutschen und damit unserer Geschichte. Dieser Artikel aus dem Jahr 1989 beleuchtet die lokalen Hintergründe und Geschehnisse in Ratzeburg.


Keiner von uns Schülern und nur einige Lehrer haben den Nationalsozialismus miterlebt, und trotzdem beschäftigt uns dieses Thema immer noch. Es hat ja auch genügend Trümmer hinterlassen, die zerbombten Städte sind zwar alle wieder aufgebaut, aber Deutschland ist geteilt, viele Menschen sind heimatlos geworden und es gibt immer noch keinen Friedensvertrag.

Die Zeit des Hitler-Regimes hat auch unser kleines Städtchen Ratzeburg nicht unberührt gelassen.

Nach der Machtergreifung Hitlers, am 30. Januar 1933 verhält sich die Bevölkerung der „Beamtenstadt“ Ratzeburg sehr zurückhaltend, obwohl die Weltwirtschaftskrise und mit ihr Elend und Arbeitslosigkeit gerade erst vorüber sind. Und ganz Deutschland Hitler als einzige Rettung sieht.  Schließlich wird Ratzeburg aber doch vom starken Sog mitgerissen, obgleich die „Bekehrung“ der Ratzeburger für die in Mölln sitzende Kreisleitung alles andere als einfach ist.

So ziemlich der erste Nazi in Ratzeburg war Wilhelm Behrmann. Seit 1921 bemühte er sich die Stadt in die seiner Meinung nach rechten Bahnen zu lenken. Alles begann damit, dass Behrmann damals in Lübeck tätig, einen „Völkischen Beobachter“ in die Hände bekam. Er war begeistert von Hitler und seiner Partei. Ein Chronist aus dieser Zeit schreibt: „Das gelang ihm natürlich leichter in Lübeck als ins seiner Geburtsstadt. Dennoch dem gebieterischen Rufe in seiner Brust folgend, kehrte er nach Ratzeburg zurück, um dort für die gute Sache zu werben.“ Unter der „Guten Sache“ versteht unser Chronist leider die „Schlechte Sache“, die wohl jedem bekannt sein dürfte.

Wilhelm Behrmann machte sich also mit einem Stapel Flugblätter und Propagandazeitschriften auf nach Ratzeburg. Großen Erfolg konnte er allerdings nicht verzeichnen. Zwei, drei zeigten schüchtern Interesse, aber Behrmann war nicht stark genug, um sie in sein Lager hinüber zu ziehen. Behrmann gab nicht auf, er wandte sich an die Kreisleitung in Mölln, wo der Same des Nationalsozialismus auf weit fruchtbareren Boden gefallen war. Er  hatte mit dem später Kreisleiter Kelb eine längere Aussprache und, wir zitieren wieder unseren Chronisten:“gelobte ihm in die Hand, dass er in seiner Vaterstadt alle seine Kräfte für die Bewegung einsetzen wolle.“ Abermals wanderte er mit einem Packen Werbematerial unter dem Arm nach Ratzeburg und hoffte auf größeren Erfolg als beim ersten Mal. Der blieb ihm jedoch versagt. Der Versuch in Ratzeburg neue Anhänger zu erwerben schlug fehl.

Man schrieb das Jahr 1923 und noch immer traf sich das Häuflein Verführter in Mölln. Der Zulauf wurde nach dem gescheiterten Hitler-Putsch auch nicht größer, und so dämmerte die später so mächtige NSDAP dahin, die Wahlen 1924 fielen sehr unbefriedigend aus, gerade 50 Stimmen werden erreicht. 1925 bei der Reichspräsidentenwahl nur 15, da wirkte diese Anzeige fast wie ein Witz:


Nur 25 Menschen versammelten sich im Clubraum des Hansa Hotels, um der Propagandarede des Stadtverordneten Lohse zu lauschen. Aber dieser 2. November war immerhin der (Wort im Original nicht lesbar/vorhanden) Ortsgruppe der NSDAP.

Langsam bekam sie mehr Zulauf, es waren zumeist Jugendliche, die allerdings bald wieder austraten. Unermüdlich setzte die Partei ihre Propagandaarbeit fort und bereitete sich auch in den umliegenden Dörfern aus. Mit dem Jahr 1929 beginnt der Aufstieg der NSDAP. Vier Jahre später, 1933 kommt Hitler an die Macht. Von nun an hat die Partei nur noch Erfolge zu verzeichnen, die Diktatur beginnt, auch Ratzeburg bleibt nicht verschont. Die in der Stadt wohnenden Judenfamilien werden abgeholt und in Konzentrationslager gebracht. Überall ist die NSDAP zu spüren, an Festtagen muss in allen Haushalten die Hakenkreuzflagge gehisst werden, notfalls auch noch die schwarz-rot-goldene Reichsflagge, obwohl man dann schon schief angeguckt wird.  Sonntags während der Kirchzeit, finden HJ-Veranstaltungen (Anm. der Redaktion (2011): HJ heißt Hitler-Jugend; eine Jugendorganisation der Nazis) statt, was einen(Wort im Original unlesbar) Angriff auf die Krische bedeutet. Außerdem wird in Ratzeburg am Sonntagmittag Eintopf ausgeteilt, offiziell war das Essen zwar freiwillig, aber wehe, einer kommt nicht.


Sogar in die Freizeitgestaltung  reichte der Arm des Regimes, so gab es zum Beispiel die Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“. In der „Alten Wache“ war ein regelrechter Hitler-Kult-Raum eingerichtet, mit einer Büste des „Führers“ und Hakenkreuzflagge.



1939 beginnt der 2.Weltkrieg, zunächst läuft das Leben in Ratzeburg normal weiter, nur mit der einen Einschränkung, dass man Lebensmittelkarten benutzen muss. Die Begeisterung, mit der man in den 1.Weltkrieg gezogen war, fehlt allerdings größtenteils. Zu spüren bekommen die Ratzeburger den Krieg erst 1942, nach dem Bomberangriff auf Lübeck, der die ersten Obdachlosen nach Ratzeburg treibt. 1943 wird die Stadt von Hamburgern geradezu überschwemmt, die in panischer Angst geflohen sind, als die Alliierten begonnen haben, Hamburger Wohnviertel zu bombardieren.

Aber das ist erst der Anfang, noch schlimmeres Elend erlebt Ratzeburg, als die ersten Flüchtlingstrecks eintreffen, endlose Züge mit Bauernkarren, die ähnlich aussehen, wie Siedlerwagen im Wilden Westen, mit halb erfrorenen Kindern und Alten, die nur den einen Wunsch kannten, möglichst weit weg von der Front und den Russen zu sein. Im März 1945 wurde in Ratzeburg eine Treckleitstelle eingerichtet, um wenigstens das gröbste Chaos zu entwirren. Tag und Nacht arbeiteten Helfer des Roten Kreuzes, um die Flüchtlinge zu retten und täglich trafen neue Trecks aus Ostpreußen, Pommern und Brandenburg ein.  Sie alle hofften am Ziel ihrer Reise zu sein, aber Ratzeburg war so überfüllt, dass es unmöglich war weitere Flüchtlinge aufzunehmen und so mussten die Menschen trotz ihrer Entkräftung weiter ziehen, nur die Kranken durften bleiben.



Auch nach der Kapitulation, riss der Strom der Vertriebenen nicht ab. Nach Kriegsende gab es einen Haushalt, in dem nicht zwei-drei Familien gewohnt hätten; das bedeutete eine große Einschränkung an Wohnraum und Privatleben.

Die Besatzungsmächte marschierten ein; und zeitweilig verlief die Grenze zwischen amerikanischer und britischer Besatzung mitten durch Ratzeburg, sodass einige Inselbewohner, die ihre Gärten in der Vorstadt hatten, nur mit vielen Umständen oder gar nicht dorthin gelangen konnten.

Nachdem die Amerikaner den Russen Mitteldeutschland überlassen hatten, wurde im November 1945 die jetzige Grenze festgelegt.

         von Wiebke Franken

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